Neue Arbeitsformen im Grenzbereich Selbständigkeit – Unselbständigkeit. Analyse der Situation in der Bauwirtschaft

In den letzten Jahren war manchen Quellen zufolge in Österreich ein Anstieg im Bestand der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) zu verzeichnen. So weisen beispielsweise die sog. EPU-Fact Sheets der WKO für 2007 einen EPU-Mitgliederstand von 183.297 UnternehmerInnen aus, für das Jahr 2013 hingegen beläuft sich die Zahl auf 251.176.
Die Beschäftigung von DienstnehmerInnen auf Basis einer selbständigen Tätigkeit galt gerade auch während der Übergangsbestimmungen für die EU-8 Staaten als Praxis der Umgehung der für eine unselbständige Beschäftigung notwendigen Beschäftigungsbewilligung. Es bestand die Vermutung, dass es im Zuge der Liberalisierung mit 1. Mai 2011 zu einem Rückgang der Scheinselbständigkeit kommen würde, wenn die betroffenen StaatsbürgerInnen nun ohne Bewilligung als unselbständige ArbeitnehmerInnen angemeldet werden können. In der Tat zeigte sich in den ersten Monaten nach der Arbeitsmarktliberalisierung auf Ebene der Gesamtbeschäftigung ein Rückgang selbständiger Erwerbstätigkeit von EU-8 StaatsbürgerInnen zu Gunsten unselbständiger Beschäftigungen.
Gleichzeitig zeigte eine in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführte Recherche und ExpertInnenbefragung im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und des BMASK, dass viele der ExpertInnen davon ausgingen, dass die Beschäftigung von ‚Selbständigen‘ zur Umgehung von rechtlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen – vor allem im Baubereich – weiterhin eine attraktive Variante verbleiben wird.
Es handelt sich bei diesen Bautätigkeiten häufig um einfache Tätigkeiten, die eigentlich im Rahmen von echten Dienstverträgen zu erfüllen wären, in den letzten Jahren aber gehäuft auf EinzelunternehmerInnen im Rahmen von Werkverträgen ausgelagert werden.
Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Entscheiden wiederholt festgestellt, dass derartige einfache manuelle Tätigkeiten in der Regel kein selbständiges Werk darstellen. Die Innehabung solcher Gewerbescheine wie „Verspachteln von bereits montierten Gipskartonplatten unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe vorbehaltenen Tätigkeit“ sei Teil eines verbreiteten Missbrauchs der Gewerbeordnung zur Verschleierung abhängiger Beschäftigungsverhältnisse (siehe www.vwgh.gv.at, bspw. Pressemitteilung 2012 – Zl. 2010/08/0129-6). Generell ist zur Beurteilung einer (un)selbständigen Tätigkeit das konkrete und genau erhobene Gesamtbild der Tätigkeit heranziehen, d.h. der wahre wirtschaftliche Gehalt ist ausschlaggebend. Als typische Merkmale wirtschaftlicher Unselbständigkeit sind laut Verwaltungsgerichtshof die Folgenden anzusehen (vgl. VwGH, Erkenntnis vom 22. Februar 2006, Zl. 2005/09/0012):

  • „die Verrichtung der Tätigkeit nicht in einem Betrieb oder einer Betriebsstätte des Verpflichteten, sondern in einem Betrieb des Unternehmers;
  • eine gewisse Regelmäßigkeit und längere Dauer der Tätigkeit;
  • die Verpflichtung zur persönlichen Erbringung der geschuldeten Leistung;
  • Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit des Verpflichteten hinsichtlich der Verrichtung der Tätigkeit (Weisungsgebundenheit, „stille“ Autorität);
  • die Berichterstattungspflicht;
  • die Arbeit mit Arbeitsmitteln des Unternehmers;
  • das Ausüben der Tätigkeit für einen oder eine geringe Anzahl, nicht aber für eine unbegrenzte Anzahl ständig wechselnder Unternehmer;
  • die vertragliche Einschränkung der Tätigkeit des Verpflichteten in Bezug auf andere Personen (Unternehmerbindung, Konkurrenzverbot);
  • die Entgeltlichkeit und
  • die Frage, wem die Arbeitsleistung zu Gute kommt“.

Der Frage arbeitnehmerähnlicher Verhältnisse bzw. einer Scheinselbständigkeit im Baubereich geht die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) im Rahmen ihrer durchgeführten Baustellenkontrollen regelmäßig nach. Die Kontrollorgane der BUAK verfügen auf Basis des BUAG über relativ umfassende Betretungs-, Auskunfts-, Einsichtsrechte sowie das Recht, die Identität der ArbeitnehmerInnen festzustellen. ArbeitgeberInnen sind verpflichtet, den Bediensteten der BUAK erforderliche Auskünfte zu erteilen und Einsicht in die erforderlichen Unterlagen zu gewähren, was sich auf die Arbeitsverhältnisse, die Art der Beschäftigung sowie die Lohnunterlagen bezieht.
Im Rahmen des vorliegenden Projektes wurden dem Projektteam seitens der BUAK eine Stichprobe der bei Baustellenkontrollen zum Einsatz kommenden Erhebungsbögen „zur Unterscheidung Werkvertrag – arbeitnehmerähnliche Verhältnisse“ zur erstmaligen systematischen Auswertung überlassen. Diese Fragebögen stellen Vorlagen für die juristische Fallbearbeitung der BUAK dar, so dass die inhaltlichen Erträge seitens der BUAK noch in keiner Weise systematisch erfasst oder ausgewertet worden sind.

Verlässliche Daten zu Erwerbskarrieren von selbständig Beschäftigten, welche in der Baubranche tätig sind, sind Mangelware. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die nähere Untersuchung des oftmals kolportierten dynamischen Anstiegs der Gründungen von EPUs im Baubereich oder von Prozessen des Lohndumpings im Bereich der in diesem Wirtschaftsbereich selbständig Tätigen mittels der Analyse von Verwaltungsdaten kaum möglich.
Im Rahmen eines zweiten Arbeitsschwerpunktes wurde trotz dieser Einschränkungen anhand von Rohdaten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger eine spezifische und pointierte Annäherung an obengenannte Fragestellung versucht. Das Vorgehen war insofern nicht einfach, als seitens des Hauptverbandes keine Wirtschaftsklasse bei selbständig Erwerbstätigen verzeichnet wird. Diese Praxis steht etwa ganz im Gegensatz zur Behandlung von Arbeitgeberbetrieben: Weist ein Betrieb Beschäftigte auf, wird er mit einem Dienstgeberkontoeintrag versehen und ist durch einen ÖNACE – Brancheneintrag in weiterer Folge einem Wirtschaftsbereich zuordenbar.

Auftraggeber*innen: Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien
Mitarbeiter*innen: Andreas Riesenfelder, Petra Wetzel
von: 2014 bis: 2014

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